Über mein erstes Semester in den Vereinigten Staaten

15.01.2018

Erlebnisbericht des PPP-Teilnehmers Jonas Scheibe

Fast auf den Tag genau ist es jetzt ein Jahr her, dass unser Bundestagsabgeordneter Marian Wendt meine ehemalige Klasse und mich mitten im Mathematikunterricht überraschte und mir mitteilte, dass er mich ausgewählt hat und die Patenschaft für mich im Rahmen des Vollstipendiums des Deutschen Bundestages namens Parlamentarisches Patenschafts-Programm übernehme. Nun  gebe ich einen ersten Rückblick über meine bisherigen Erlebnisse.

Am 17. August 2017 klingelte der Wecker, an dem Tag, an dem ich Deutschland für 10 Monate ‚Auf Wiedersehn‘ sagte. Nach einer doch sehr kurzen Nacht, ging es mit der engsten Familie zum Flughafen Leipzig/Halle. Dort angekommen musste ich mich bei allen verabschieden. Mein erster Flug führte mich nach knapp 60 Minuten ins Börsenzentrum der Bundesrepublik – Frankfurt(M). Der zweite Flug brachte mich direkt in die USA in die Stadt der Winde - Chicago. Den letzten Flug nach Lincoln, Nebraska nutze ich nochmals, um zu schlafen, schließlich war ich schon 22 Stunden auf den Beinen.

Danach führte mich meine Reise nach Council Bluffs, Iowa. In der Stadt am Missouri leben ca. 62.000 Menschen. Des Weiteren bildet sie mit Nebraskas größter Stadt Omaha eine Metropolenregion, in der insgesamt ein wenig unter einer Millionen Menschen leben. Omaha ist bekannt für dessen Zoo. Der Empfang durch meine Gastfamilie fiel ausgesprochen freundlich aus. In meinem neuen Zuhause lebe ich mit meinem Gastvater Scott (49), Gastmutter Adrienne (48), Gastbruder Brenden (18), welcher jedoch schon am College studiert und daher nur am Wochenende bei uns ist und unserer Hündin Miss Tilly.

„Let’s go AL & Here we go AL, here we go“ – so lautet das Motto an meiner High School. AL steht dabei für Abraham Lincoln High School und hier ist man sehr stolz auf seine Schule. Alle tragen freiwillig T-Shirts mit dem Schullogo. Es ist nicht so, dass die Schüler den Unterricht mehr mögen, ganz im Gegenteil, aber die vielen Clubs und Sportarten, die man nach der Schule durchführen kann, machen die Schule zu einem besseren Ort, an dem man gerne lernt.

Mein Schulalltag sieht wie folgt aus:

8.10 Uhr beginnt mein Unterricht mit der ersten von 5 Stunden am Tag. An meiner High School gibt es Trimester, das heißt, das Jahr wird in drei Drittel geteilt. Ich belege in meinem Schuljahr (verteilt auf allen drei Trimester) folgende Kurse:  Fotografie, US Geschichte A und B, Englisch 12 A und B, CE Calculus  A und B (Mathematik mit den Schwerpunkten Grenzwerte, Ableitungsfunktionen und Integrale), AP Physik A, CE American Government, TAG Seminar (eine Stunde für leistungsstarke Schüler zum Belegen von online Hochschulkursen - ich nutze die Stunde zum Lernen von Russisch und Latein), Fotoshop und Wirtschaft. CE und AP Kurse sind Klassen, die entweder auf Hochschulniveau sind (AP) oder durch die lokale Hochschule unterrichtet werden (CE). Es ist für mich nicht sonderlich schwer, diese Fächer mit einem A (beste Zensur im amerikanischen Bildungssystem) zu belegen. Meine Mittagspause habe ich um 11.05 Uhr, was für mich zunächst ziemlich zeitig war, jedoch gewöhnte ich mich daran. Vom Schulessen kann ich nur abraten, es ist ungesund und unappetitlich. Um 15.10 Uhr endet meine letzte Stunde, jedoch ist dies nicht das Ende meines Schultages. Man hat jeden Tag die gleichen 5 Fächer. Nach dem Unterricht beginnt der Spaß. Die Schule bietet viele außerschulischen Aktivitäten an. Ich habe zweimal die Woche Tischtennis, einmal die Woche Speech und einmal die Woche Key Club (soziales Arbeiten). Apropos soziales Arbeiten - im Rahmen meines Stipendiums bin ich angehalten, Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft zu verrichten. Besonders viel Spaß habe ich dabei  im Key Club, da man da mit seinen Freunden Gutes tut und Freude hat. Das bot mir komplett neue Einblicke, zum Beispiel das Helfen im Altenheim, das Servieren von Essen in der Kirche oder die Organisation von Festen. Ein weiterer Teil meines Programmes sind die Länderpräsentationen über Deutschland. Dabei gebe ich Einblicke über die Politik, Geschichte und Kultur. Allgemein herrscht doch ein recht großes Interesse an der Bundesrepublik. Die Club Meetings dauern i.d.R. 90 Minuten, sodass ich um 5 zu Hause bin und noch Hausaufgaben machen muss. Ich bin in der 12. Jahrgangsstufe und werde im Juni von der High School graduieren.

Es hat ca. vier Wochen gedauert bis ich die ersten Freunde gefunden habe. Man muss sich schnell dran gewöhnen, dass Amerikaner doch eine sehr unterschiedliche Mentalität mit sich tragen, als wir  Deutsche sie haben. Meine Freunde sind alle in der selben Klassenstufe und am Wochenende unternehmen wir meistens etwas, z.B. Kino, Lagerfeuer, Tennis spielen. Ein besonderes Highlight stellte Homecoming mit meinen Freunden da. Homecoming ist eine Mottowoche an der High School und wird mit einem Tanz abgeschlossen und es gibt ein wichtiges Footballspiel. An dieser doch sehr neuen Sportart habe ich gefallen gefunden, zumindest als Zuschauer. Wir sind als Gruppe Pizza essen gegangen, haben Fotos gemacht und waren auf dem Tanz. Der Abend war definitiv ein Höhepunkt meines Aufenthaltes.

Was mir wirklich sehr gut an meiner Schule gefällt, ist die Ausstattung hinsichtlich der Technik. Im Gegensatz zu meiner Heimat, wird hier in den Staaten viel Geld für die Ausstattung der Schulen ausgegeben, damit man die Schulen auf den neusten Stand hält und um in die Zukunft zu investieren. Es werden sehr viele IT-Klassen angeboten, jeder Schüler hat einen Laptop, es wird mit einem gesunden Mix aus Lehrbüchern und Online-Resourcen unterrichtet. Alle Noten und Anwesenheit im Unterricht eines Schülers sind sowohl für Schüler als auch Eltern einsehbar. Wenn ich sage, dass an meiner deutschen Schule i.d.R. mit Kreide und Polylux unterrichtet wird, erhalte ich ein Lachen und das ganze wird als Scherz empfunden. Der Einsatz von Technologie wird besonders in meiner Generation eine wichtige Rolle spielen und daher begrüße ich das Verhalten der USA, schließlich soll Schule auf das Leben vorbereiten.

Doch was ich loben muss, am amerikanischen Bildungssystem ist das Verhältnis von Auswendiglernen zu praxisnaher Anwendung. Meine Sekundarstufe I war oft geprägt vom stupiden Auswendiglernen, dass nach einer Leistungsüberprüfung wieder vergessen werde konnte. Folgendes ist an meiner Schule nicht möglich, da man am Ende jeder Trimester in jedem Fach eine Abschlussprüfung hat, die alle Inhalte über das Trimester wiederholen. Ich möchte an dieser Stelle den Vorsitzenden des Landesschülerrates des Freistaates Sachsens Noah Wehen zitieren: „Unsere Schulen können die laufende gesellschaftliche Entwicklung unmöglich ausblenden, tun mit dem beständigen Festhalten am Frontalunterricht aber genau das. Technologische Prozesse und flexiblere Anforderungen an das spätere Berufsleben machen eine individuellere Betreuung der Lernenden unumgänglich. Heutzutage selbstverständliche Persönlichkeitsqualifikationen wie systematisches Denken und Teamfähigkeit erfordern einen verstärkten Fokus auf Gruppenarbeiten, Diskussionsrunden und multiple Formen der Selbsterarbeitung im Klassenzimmer. [...] Stupides Auswendiglernen ist keine zielführende Vorbereitung auf das Erwachsensein, sondern durch den mittlerweile selbstverständlichen Zugang zu unbegrenzten Informationen über das Internet deutlich nebensächlich geworden.“

Besonders Spaß hatte ich beim amerikanischen Erntedankfest – Thanksgiving. Da kam die ganze Familie zusammen und hat gemeinsam mit einem traditionellen Essen gefeiert. Den Tag darauf verbrachte ich mit dem bekannten Black Friday Shopping, wo angeblich alle Preise in den Geschäften stark reduziert sind, jedoch stellte sich dies nur als halbwahr heraus. Man konnte gute Angebote finden, es war jedoch nichts zum Spottpreis erhältlich, außer man stellt sich nachts um drei in eine Schlange, damit man am Morgen um 8, wenn die Läden öffnen, unter den ersten 25 Kunden ist und dann doch auf ausgewählte Artikel kräftig sparen kann.

Besonders gefehlt hat mir die Adventszeit. Leider gab es in keiner Region einen Weihnachtsmarkt und auch auf das gemütliche Beisammensein mit Freunden wurde nicht eine allzugroße Bedeutung geschenkt, sondern das Christmas-Shopping. Meine Gastfamilie feierte Weihnachten an Heiligabend, was untypisch für die USA ist, denn hier ist gebräuchlich am 25. Dezember zu bescheren und zu feiern. Mein Silvester fand ohne Raketen statt – in meinem Bundesstaat ist der Besitz dieser verboten. Alle öffentlichen Feuerwerke wurden abgesagt, da es in dieser Nacht bis zu minus 30 Grad Celsius kalt wurde.

Einen weiteren Höhepunkt stellte meine sechstägige Reise in die Hauptstadt der USA nach Washington D.C. dar. Anlass der Reise war das CBYX Enhancement Program (CBYX = Congress Bundestag Youth Exchange), welches eine Woche voller Workshops zum Thema Leadership darbot. Neben Vorlesungen von Lektoren, Besuchen von Mitarbeitern der deutschen Botschaft und des US Department of State, Planspielen und Gruppenarbeiten, wurden auch alle wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt besichtigt. Mir persönlich gefiel der Capitol Hill Day am besten. Capitol Hill ist das Regierungsviertel in Washington D.C. und an diesem Tag durfte ich das förderale Parlament, den Kongress, mit dessen zwei Kammeren Senat und Repräsentantenhaus besuchen. Außerdem hatte ein Treffen mit dem Abgeordneten des Repräsentantenhauses für meinen Wahlkreis David Young und mit einer der zwei Senatoren des Bundesstaates Iowa – Joni Ernst ( beide Republikaner). Mit Joni Ernst hatte ich eine sehr interessante Diskussion über Klima-, Finanz- und Migrationspolitik, wobei wir beide doch eher kontroverse Ansichten hatten.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich sehr froh und dankbar bin, Mitglied des 34. Parlamentarischen Patenschafts-Programm zu sein und ein Jahr in den USA verbringen zu dürfen. Dabei geht mein größter Dank an den Deutschen Bundestag und den US Kongress, die mir dieses Jahr ermöglichen und auch an meinen Paten Marian Wendt, der mir bei Problemen zur Seite steht.

Es grüßt meine Heimat
Jonas Scheibe