Arthurs zweites Semester in den USA

31.08.2020

Erlebnisbericht des PPP-Teilnehmers Arthur Körner

Noch nicht ahnend, was in der Welt über das nächste halbe Jahr passieren würde, was sich in unser aller Leben verändern würde und was das letztendlich auch für mich und mein Auslandsjahr bedeuten würde, startete mein zweites Semester mit den Weihnachtsferien. Am 22. Dezember war es soweit, der erste Ferientag. Überall waren die Häuser geschmückt und die vielen Lichter und Dekorationen ließen einen fast die Außentemperaturen von bis zu -30°C vergessen. Es ist ein wirklich einzigartiges Erlebnis, Weihnachten in den USA feiern zu dürfen.

Wenn wie erwartet Weihnachten in Amerika sehr kommerzialisiert ist, ist es dennoch hauptsächlich ein Fest der Familie und ein Fest des Zusammenkommens. Man trifft Verwandte und Freunde, tauscht Geschenke aus und verbringt vor allem Zeit miteinander. Für mich als Austauschschüler war es besonders wieder einmal ein Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass ich längst ein Teil meiner amerikanischen Familie geworden war und dazu gehörte.

Wenngleich man gerade um die Weihnachtszeit sehr oft an sein zu Hause denkt und die Familie, mit der man sehr viel Zeit verbringen würde, welche man natürlich auch jedes Jahr auf neue genießen gelernt hat.
Heimweh hatte ich dabei jedoch kaum, denn speziell in dieser Zeit gibt es sehr viel Ablenkung durch die vielen Aktivitäten.

Der 24. Dezember, der Weihnachtstag, wenn wir ihn in Deutschland feiern, läuft dabei ganz anders ab. Zum Mittag gibt es ein Festessen mit der Familie, bevor alle zusammen zum Gottesdienst gehen. Und während in Deutschland die Kinder nach dem Gottesdienst schnell nach Hause wollen, um zu sehen, was für Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen, verläuft der Weihnachtsabend in den USA recht entspannt ab. In unserer Familie haben wir beispielsweise die gemeinsame Zeit genutzt, um durch die Nachbarschaft zu fahren und die teilweise sehr exzessiven Weihnachtsinstallationen zu bewundern. Erst am nächsten Morgen, als wir aus dem Bett kamen, lagen die Geschenke unter dem Baum - es war Zeit, sie auszupacken.

Die folgenden Tage verliefen dann ähnlich wie auch in Deutschland. Man trifft viele Freunde und Familie, isst zusammen, verbringt Zeit miteinander. Ein besonderes Highlight meiner Weihnachtsferien kam jedoch noch einige Tage später. Mit dem Auto ging es vier Stunden Richtung Westen in die Black Hills. Hier verbrachten wir ein paar Tage am Terry Peak Skigebiet. Vor der beeindruckenden Kulisse der Black Hills arbeitete ich mich vom absoluten Skianfänger bis zur Blauen Piste hoch. 

Schnell war die Zeit in den verschneiten Bergen vorbei und am 31. Dezember, Silvester, war es schon wieder Zeit für uns zurück nach Hause zu fahren. Entgegen meiner Erwartungen gingen wir einfach schlafen ohne den Anlass durch langes Aufbleiben oder Feuerwerk zu feiern.

Eine Woche später begann die Schule und es kehrte wieder ein gewisser Alltag ein. Jeden Mittwoch und Donnerstag gab es Volleyball- oder Basketballspiele und die Wochenenden verbrachten wir bei der Kälte meistens zu Hause, mit Freunden oder beim Shoppen im 30 min entfernten Sioux Falls.

Doch schon bald, im Februar, wurde es wieder etwas wärmer und bei warmen -3°C ging es für uns auf einem 4h Roadtrip nach Minneapolis. Lange Fahrten wie diese, die im Mittleren Westen der USA schon hin und wieder vorkommen, sind besonders im Winter spannend. Man sieht meterhohe Schneedünen am Rand der Straße und kann beobachten, wie der Schnee über die Straße fegt. Mit ein wenig Glück kommt man in einen Eissturm und kann miterleben, wie sich das Eis an den Rückspiegeln ansetzt und festfriert. Bei unserer Hinfahrt, ging jedoch noch alles gut und wir mussten lediglich den Überresten des Schneesturmes ausweichen, der einen Tag zuvor gewütet hatte.

Angekommen in Minneapolis fuhren wir mit Zwischenstopp bei den zugefrorenen Minehaha Falls direkt nach Downtown. Neben vielen Wolkenkratzern und einem beeindruckenden Football Stadion (das wenige Jahre zuvor Austragungsort des Superbowls war) gab es auch den ein oder anderen Park mit vielen Skulpturen, den wir erkunden konnten. Mit einem atemberaubenden Blick ließen wir danach den Abend ausklingen, indem wir in der obersten Etage eines der größten Gebäude der Stadt aßen und den Sonnenuntergang genossen.

Am nächsten Tag stand das Highlight unseres Besuches auf der Tagesordnung: The Mall Of America.
Wenn man darüber nachdenkt, wo wohl das größte Einkaufszentrum der USA zu finden sei, denkt man zunächst an New York, L.A. oder vielleicht Chicago. Was viele jedoch nicht vermuten würden ist, dass sich das größte Einkaufszentrum der USA mitten im Herzen des Landes, in Minneapolis befindet. Mit einer Verkaufsfläche von 230.000 Quadratmetern, mehr als 520 Läden und sogar einem eigenen Freizeitpark im Gebäude, hatten wir den ganzen Tag damit zu tun, die Mall zu erkunden und natürlich auch das ein oder andere Souvenir zu kaufen.

Neben all den Souvenirs ist mir aus Minneapolis auch eine sehr signifikante Erfahrung geblieben. Wenn wir hier in Deutschland an US Metropolen denken, dann fällt uns oft negativ auf, dass viele Amerikaner in eben diesen Städten nur wenig öffentliche Verkehrsmittel nutzen und doch lieber auf das Auto zurückgreifen, um sich fortzubewegen. In Minneapolis haben wir uns dafür entschieden mit der S-Bahn ins Zentrum und zu all unseren Aktivitäten zu fahren und trotz der Tatsache, dass der öffentliche Nahverkehr recht gut ausgebaut ist, kann ich dennoch verstehen, dass viele Amerikaner sich davor scheuen, jenen zu nutzen. Viele Züge sind nämlich nicht nur ein Mittel um von A nach B zu kommen, sondern besonders für die vielen Obdachlosen eine Möglichkeit, nicht draußen im Kalten sitzen zu müssen. So trifft man in der S-Bahn viele sehr dubiose Personen mit einer teilweise sehr unangenehmen Geruchskulisse. Durch das Fehlen eines Schaffners in den Zügen griffen wir bei Nacht dann doch lieber auf Busse zurück, wo es einen Busfahrer gab, der für Ordnung sorgt und Schwarzfahrer davon abhält, mitzufahren. Diese Erfahrung sagt aber für mich nicht nur etwas über die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs in den USA aus, sondern für mich ist das Prinzip dieser Erfahrung auf viele Sachen anwendbar, von denen wir als Europäer denken, dass sie in den Vereinigten Staaten schwachsinnig gehandhabt werden, aber die dennoch aus der Sicht der Amerikaner ihre Berechtigung haben: Waffengesetze, die Wahl von Donald Trump, Führerschein mit 14 Jahren … nur um ein paar Beispiele zu nennen.

Der Trip nach Minneapolis war ein unvergessliches Erlebnis. Ich durfte viel sehen und erleben, an was ich heute noch gern zurück denke. Und natürlich wäre so ein Roadtrip im Winter, im mittleren Westen ohne einen Eis- und Schneesturm nicht komplett gewesen und so hat es uns auf der Rückfahrt in einen solchen verschlagen. Neben Straßensperrungen und Schneechaos sorgte er dafür, dass die Rückfahrt doppelt so viel Zeit in Anspruch nahm, wie die Hinfahrt.

Doch der Schnee und das Eis sollte in den nächsten vier Wochen noch unser kleinstes Problem gewesen sein. Das Coronavirus, welches zuvor nur in China vorgekommen war, forderte nun auch die ersten Opfer auf US-amerikanischem Boden. Wir beobachteten, wie die Fälle von Tag zu Tag mehr wurden und letztendlich diesen Zahlen auch politische Taten folgten.

Am Donnerstag, den 12. März 2020, wurde ich dann um 6 Uhr morgens durch mein Handy geweckt. Es hörte nicht mehr auf zu vibrieren. Die Whatsapp-Gruppen der Stipendiaten des PPP wurden von einer Welle an Nachrichten erfasst, die darüber berichteten, dass wir nach Hause müssten. Erst dachte ich, sie hätten eine Nachricht vor ein paar Tagen falsch verstanden, in der uns angeboten wurde, aufgrund der aktuellen Situation freiwillig zurück zu reisen. Doch nach einem kurzen Telefonat mit ein paar Freunden aus dem Programm war es klar. Das Programm wurde frühzeitig beendet. Wir müssen alle zurück. Ich stand unter Schock. Ich wusste, dass das Virus die USA bereits schlimm getroffen hat und möglicherweise noch schlimmer werden würde. Doch so weitreichende Folgen hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich stand auf und erzählte meiner Gastfamilie von der Nachricht. Sie waren mindestens genauso geschockt wie ich. Doch als selbst meine Gastmutter eine Email diesbezüglich bekommen hatte, stand es endgültig fest. Auch in der Schule ging die Nachricht herum wie ein Lauffeuer. Ich spürte viel Fassungslosigkeit und Mitleid von meinen Mitschülern, welches auch darin begründet war, dass viele von ihnen selbst zuvor noch mit keiner der tatsächlichen Folgen des Virus in Berührung gekommen waren.

Wenngleich das der größte Schock in der Woche war, sollte es nicht der Letzte gewesen sein. Schon am nächsten Tag stand der Abflugtermin fest. 5 Tage! - so viel Zeit blieb uns, um unsere Zelte abzubrechen, uns von Freunden und Familie zu verabschieden und zumindest ein paar der Dinge zu tun, die noch auf der Bucketlist (Liste von Dingen die ich noch machen wollte) standen:
  - Chocolate Chip Cookies backen
  - bei McDonnalds essen
  - bei Five Guys essen
  - … und Prom!

Auf Prom hatte ich mich besonders gefreut, weil es zu den eindrucksreichsten Ereignissen des High School Jahres zählt. Da ich jetzt für Prom aber nicht mehr da sein würde, entschieden sich meine Mitschüler unter Anleitung meines Gastbruder, mir dennoch einen Teil dieses Events zu ermöglichen. Sie holten mich ab und fuhren mich zum Haus des Mädchens, mit welchem ich zum Tanz gegangen wäre. Dort machten wir zusammen die berühmten Prom-Pictures, welche ich zuvor schon von so vielen Austauschschülern gesehen hatte.

Bei der Ermöglichung der anderen Punkte der Liste half mir meine Gastfamilie und wir nutzten die letzten gemeinsamen Tage sehr intensiv. Dennoch vergingen die Tage viel zu schnell und bevor ich mich versah, saßen wir alle im Auto zum Flughafen.

Verabschiedungen fallen meistens schwer, doch eine Verabschiedung zu beschreiben, bei der man eine Familie auf unbestimmte Zeit verlässt, um zu einer Familie zurück zu kehren, die man nun für 7 Monate nicht mehr gesehen hat, ist unmöglich. Es ist ein Gemisch aus Traurigkeit und natürlich auch ein bisschen Freude, dass nun noch gepaart war mit dem unwohlen Gefühl in mitten einer Pandemie durch 5 Flughäfen reisen zu müssen.

In größtenteils leeren Flügen ging es zunächst von Sioux Falls aus über Denver nach Washington D.C., von wo aus mich einer bis auf den letzten Platz ausgebuchter Flieger nach München führte. Der Flughafen München wiederum glich eher einer Geisterstadt als einem internationalen Großflughafen. Es erstaunte und bestürzte mich zugleich, durch die leeren Hallen zu wandeln und die abgestellten Flugzeuge zu sehen. Es war kaum vorstellbar, dass diese Hallen sonst voller Menschen waren und dass an den jetzt leeren Start- und Landebahnen sonst Flugzeuge auf ihre Start und Landeerlaubnisse warteten. Nachdem ich jede Ecke des Terminals abgelaufen hatte, um ein wenig Zeit totzuschlagen und sicher zu stellen, dass sich nicht doch irgendwo Passagiere sammeln würden, brachte mich der letzte Flieger nach Berlin, da alle Flüge nach Leipzig oder Dresden mittlerweile gestrichen waren.

Hier konnte ich endlich meine Eltern wieder sehen und es ging für uns direkt nach Hause, wo ich die nächste 14 Tage versuchen würde, so wenig Kontakt nach außen wie möglich zu haben. Um die Zeit dennoch zumindest ein wenig sinnvoll zu nutzen, beschloss ich, weiterhin an den Online-Klassen meiner US-Schule teilzunehmen, die mittlerweile auch für Anwesenheitsunterricht geschlossen war.

Auch wenn ich mich nach 14 Tagen ein wenig mehr aus dem Haus traute, änderte sich am Rest meines Alltages für das verbleibende Schuljahr nicht viel. Ich besuchte weiterhin meine US Schule durch Online-Klassen, nahm an den Videounterrichtsstunden teil und machte meine Assignments. Ein ein wenig trauriges Ende für ein Auslandsjahr, aber dennoch ein Ende.

In der Zeit zu Hause hatte ich nun viel Zeit über mein Auslandsjahr nachzudenken und mir ist bewusst geworden, dass ich trotz der 3 fehlenden Monate am Ende dennoch, dank des Bundestages und des US Amerikanischen Kongresses eine unglaubliche Erfahrung machen durfte. Nämlich nicht nur die Erfahrung in ein anderes Land zu gehen und eine Sprache zu lernen, sondern viel mehr ein komplett anderes Leben kennenzulernen. Dabei ist die Sprache nur die Spitze des Eisberges, wenn es darum geht wie ich durch dieses Jahr bereichert wurde. Man lernt, wie Menschen auf einem anderen Kontinent leben, wie sie arbeiten, einkaufen, sich mit Freunden treffen, wie sie Feste feiern und vieles mehr. Man lernt, sie zu verstehen und man kommt auch nicht darum herum, beide Systeme zu vergleichen. In den Dingen, die aus meiner subjektiven Sicht nicht so gut laufen, aber besonders in den Dingen, die sie auf eine andere, viel bessere Weise gelöst haben.

Vor einem Auslandsjahr macht man sich viele Gedanken und einer dieser Gedanken, der sehr schwer wiegt, ist, ob es nicht ein verschwendetes Jahr ist, da man ein Jahr vom deutschen Unterricht aussetzt. Doch im Nachhinein ist das Jahr das ganze Gegenteil. Von dem was man in der Schule lernt, behält man statistisch gesehen nur 4% im Kopf, all die Erfahrungen, die ich jedoch in diesem Jahr gemacht habe werde ich für immer behalten und ein Leben lang davon zehren und davon profitieren.

Wenn ich allerdings einen Rat an zukünftige Stipendiaten und Austauschschüler weitergeben müsste, dann wäre es folgender: 
Ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht, wo ich denn gerne hinkommen würde, New York, Kalifornien vielleicht sogar Hawaii. In South Dakota habe ich aber eins gelernt. Ein Auslandsjahr ist keineswegs darüber, wo man am Ende hinkommt, sondern viel mehr zu wem. Wenn man in eine Familie und in eine Community kommt, in der man gut aufgenommen wird und schnell dazu gehört, dann wiegt das so viel mehr, als an irgendeinen Ort zu kommen, den man ein Leben lang Zeit hat, als Tourist zu erkunden.