Über mein zweites Semester in den Vereinigten Staaten von Amerika

12.07.2018

Erlebnisbericht des PPP-Teilnehmers Jonas Scheibe

Vor gut vier Wochen landete ich wieder sicher in der Heimat auf dem Flughafen Leipzig/Halle am  gleichen Ort, an dem mein Abenteuer 302 Tage zuvor begann. Nun möchte ich über die zweite Hälfte meines Auslandsjahres und Stipendiums - das Parlamentarische Patenschafts-Programm des Deutschen Bundestages berichten, sowie auch ein Fazit ziehen.
Die zweite Hälfte meines Auslandsaufenthaltes begann mit einem meiner Höhepunkte – die sogenannte „Speech Season“ an den High Schools im Bundesstaat Iowa, und so auch an meiner Schule – der Abraham Lincoln High School in Council Bluffs. Speech ist eine Schul-AG, in der Schüler eine Rede zu einer der 16 verfügbaren Kategorien schreiben, diese mit dem Coach überarbeiten und bis zur Perfektion vorbereiten, um diese dann bei einem lokalen Wettbewerb vor einer Jury vorzutragen und danach Punkte zu bekommen. War die dargestellte Leistung gut genug und befriedigte die Ansprüche der Jury, erhielt der Sprecher eine Eintrittskarte für den überegionalen Wettbewerb. Dort herrscht das selbe Prinzip nur unter einer strengeren Bewertung. Um es zur Königsdisziplin „All State“, bei der nur die Besten der Besten des Staates auftreten, zu schaffen, muss man unter den besten drei der 100 aufgeführten Reden sein.  Die Jury bewertet dabei weniger den Inhalt der Rede, sondern erfüllt die Rede die Regeln der Kategorie, wie zum Beispiel die Zeitbeschränkung, aber auch wie überzeugend ist der Redner, wie spricht er und wie stellt er Kontakt zu den Zuhörenden her. Ich persönlich hielt eine Rede der „After Dinner“-Kategorie. After Dinner oder auf deutsch „nach dem Abendessen“ stellt Reden dar, in der man sich vorstellt, man sei an einem Tagungsort zu einem bestimmten Thema und man wurde ausgesucht nach dem Abendessen, eine Rede zu halten. Meine After Dinner Speech hielt ich imaginär vor einem Austauschschüler-Kongress in Des Moines (IA) über das Leben eines Austauschschülers im vermeidlich langweiligen Bundesstaat Iowa, dass sich jedoch als Irrtum herausstehlen sollte – denn Iowa ist alle andere als langweilig. Bei dieser Kategorie konnte ich sehr gut mit meinem Akzent spielen, was die Rede authentischer erschienen lies. Für diese Rede durfte ich nicht länger als fünf Minuten sprechen und die gesamte Rede musste auswendig vorgetragen werden. Bei den Trainingsstunden mit meinem „Speechcoach“ wurde darauf geachtet, dass ich beim Vortragen nichts zum Zufall überlasse. Damit meine ich, dass wir gemeinsam Schritte ausgezählt haben, um zu wissen wann und wo ich wie zu stehen habe, an welcher Stelle ich wo ins Publikum schaue und wie ich meine Arme zur Gestikulation einsetze. Mit meiner Rede schaffte ich es in die zweite der drei Stufen, erhielt jedoch eine Einladung als Gast mit Hotelübernachtung zur All State Veranstaltung. Die Schul-AG Speech beurteile ich als meinen besten Teil meines Jahres an meiner High School, da ich sehr viel über das Reden lernte, sehr viel Spaß mit den beiden Coaches hatte und ich im Schulteam sehr viele neue und wunderbare Menschen kennenlernen durfte.
Zu einem wichtigen Teil eines High School Jahres in des USA gehört, dass man Dinge ausprobieren kann, die man an deutschen Schulen nicht könnte. So durfte ich den Hochschulkurs „Amerikanische Politik und Regierung“ belegen, hatte die Möglichkeit Fotografie und Photoshop zu erlernen und selbstverständlich auch eine neue Sportart. So lernte ich in der sogenannten „Spring Season“ Tennis zu spielen. Dabei ist es mit den Sportarten in den Vereinigten Staaten so, dass diese kostenlos mit professionellen Coaches an den Schulen angeboten werden. Das Training fand täglich nach der Schule statt. Die besten sechs Spieler nennt man Varsity Players, was für die erste Schulmanschaft im Tennis steht. Diese Spieler treten in professionellen Wettkämpfen gegen andere Schulen in Iowa an. Dabei geht es um Ruhm und Ehre  - für die Schule den Titel „State Champion“ zu gewinnen (auch für die anderen Sportarten an den Schulen). Ich empfand es als eine große Bereicherung, eine neue Sportart erlernt zu haben, die ich in Deutschland nicht in Betracht gezogen hätte.

Für jeden Austauschschüler in den USA zählt es zu einem der wichtigsten Erlebnisse im Schuljahr und so auch für mich. Die Rede ist vom Abschlussball oder wie man in den Staaten sagt „Prom“. Zum Abschlussball erscheint man traditionell mit einer Begleitung. Ich entschied mich meine beste Freundin vor Ort zu fragen. Schon die Fragestellung in den USA sollte nicht einfach über eine SMS oder eine direkte Frage erfolgen, sondern der Junge bastelt in der Regel ein Plakat für die entscheidende Frage und überrascht damit das Mädchen. Ich tat dies in einem Restaurant. Danach beginnt der organisatorische Teil, bei dem Junge und Mädchen Smoking und Kleid farblich abstimmen, die Blumen bestellt werden und ein Restaurant für den Abend gesucht wird. Mein „Prom“ fand am 28. April 2018 statt. Ich persönlich empfand den eigentlichen Ball wie eine Disco, nur dass die Gäste wesentlich besser angezogen waren. Nachdem der Ballkönig und die Ballkönigen gekrönt wurden, war der offizielle Teil vorbei. Jedoch noch lange nicht die Prom-Nacht. Nach dem offiziellen Ball zogen sich alle Schüler bequeme Sachen an und machten sich um 23 Uhr auf den Weg zur Schule. Dort befanden sich unzählige Hüpfburgen, ein Casino, Möglichleiten Tischtennis zu spielen, eine Dame die Hennas mallte und ein Karikaturist. Dies bot eine Vielzahl an Möglichkeiten für Spaß und zur Zeitvertreibung bis vier Uhr nachts, wo ein Mann aus Omaha anreiste um Hypnose an zwölf Schülern durchzuführen, sodass der Abend erst um 6 Uhr morgens zum Ende kam. Mein amerikanischer Abschlussball verlief klassisch wie in einem Hollywood-Film mit Fotos, gutem Abendessen, tanzen und ganz viel Spaß.
Und mit dem Abschlussball neigte sich auch das Ende des Schuljahres hin. Meine Schule hatte ein kleines Problem mit dem sogenannten „Skipping“ oder auch „Schwänzen“ genannt. Obwohl vor jeder Unterrichtsstunde die Anwesenheit der Schüler digital überprüft wird und bei unentschuldigter Abwesenheit sofort einen automatischer Anruf und Email an die Eltern erfolgt, schwänzen vom 1,0 Schüler bis zum schlechtesten Schüler alle mindestens eine Stunde pro Woche, sodass mancher sogar mehr Abwesenheiten als Anwesenheiten im Kurs haben kann. Nun komme ich als regeltreuer Deutscher an die Schule und werde zum Ende des Schuljahres zu einem Frühstück mit der Schulleitung und elf anderen Schülern eingeladen, da diese auch nicht im Schuljahr geschwänzt haben. Das schockierte mich dann doch ein wenig, dass von über 1200 Schülern nur 12 nicht einmal geschwänzt haben oder zu spät zum Unterricht erschienen.
Am 03. Juni 2018 graduierte ich von meiner High School, zwar nicht mit High School Diploma (da man dafür vier Jahre an der high School sein müsste), aber mit einem „Certifcate of Attandance“. Die sogenannte Graduation ist die feierliche Zeugnisübergabe an die Zwölftklässler. Diese fand in einer gemieteten Arena für die 300 Absolventen statt. Selbstverständlich trugen alle Schüler und Lehrer das „Cap and Gown“, also der berühmte Abschlusshut und Talar. Die feierliche Zeremonie begann mit dem Einlaufen der Graduierenden, gefolgt mit dem Aufhängen der Flagge und das Singen der Nationalhymne, sowie Reden von der Schulleitung, der Superintendantin des Schulbezirkes und des Präsidenten der Schulaufsicht des Council Bluffs Community School Districts. Das eigentliche Highlight stellte für mich aber persönlich das Laufen über die Bühne dar, bei dem man das Zeugnis erhielt. Der stellvertretene Schulleiter schrieb übrigens meinen Name „Yoness Schieba“, um es halbwegs deutsch auszusprechen.
Damit schloss ich den akademischen Teil meines Auslandsjahres ab. Das für mich ganz besondere an meiner ausländischen Bildungsstätte war, dass ich gezielt Kurse wählen konnte, die meine Interessen widerspiegelten und so dass ich auch neue Hobbies entdecken konnte. Des Weiteren empfinde ich es als sehr große Bereicherung, Schule und Bildung einmal aus einer anderen Sicht zu betrachten, vor allem wurde mir deutlich bewusst, wie man den technischen Vorschritt sinnvoll in die tägliche Unterrichtsgestaltung einbauen kann und auch sollte, um sich der Realität nicht zu verweigern. Ich hoffe, dass ein solches Umdenken auch an sächsischen Schulen in naher Zukunft eintreten wird.

Im Rahmen des Parlamentarischen Patenschafts-Programm des Deutschen Bundestages vertrat ich unseren Wahlkreis Nordsachsen in Iowa. Meine Aufgabe als sogenannter „Junior Ambassador“ bestand vor allem darin, deutsche Politik zu erklären. Dies gelang mir entweder durch Präsentationen über die Bundesrepublik im Unterricht oder durch persönliche Gespräche. Besonders große Diskrepanzen sah ich in der Meinung über den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika – Herrn Donald J. Trump. So, wie die Mehrzahl der Deutschen, vertrete ich eine eher sehr negative Haltung gegenüber Trump, jedoch lebte ich in einem Staat, der mehrheitlich für Trump wählte, sodass es zu der einen oder anderen Diskussion über die aktuelle U.S.-Politik kam. In meinem Jahr ist mir bewusst geworden, was wir Deutsche sehr gern übersehen. Donald Trump trifft mit seinen sehr populistischen Aussagen den Nerv vieler konservativer Amerikaner, besonders im ländlichen Raum. Außerdem ist er kein Teil des Establishments der U.S. Politik, wie es Clinton war. Amerikaner haben einen sehr großen Nationalstolz, das zeigt sich in der Schule, wo verpflichtend eine Flagge in jedem Zimmer hängen muss, beim Sport, wo eine Veranstaltung ohne das Singen der Nationalhymne nicht beginnt oder in den Straßen, wo die meisten Amerikaner eine Flagge vor ihrem Haus hängen haben. Und dieses Denken wird auch durch Trump verkörpert. Zum Parlamentarischen Patenschafts-Programm gehören auch 50 Pflichtstunden von sozialer freiwilliger Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft. Ich führte meine meistens in der Schule durch, wie zum Beispiel als Hilfslehrer für Geschichte oder im Key Club, welcher soziale Projekte plante und veranstalte, sodass ich über 100 Stunden verzeichnen konnte und dafür in Washington, D.C. im U.S. Department of State (Außenministerium der USA) ausgezeichnet wurde.
Das Parlamentarischen Patenschafts-Programm ermöglichte es mir, neue Sichtweisen kennenzulernen, eine zweite Familie am anderen Ende der Welt zu finden, bilingual zu sein, neue Freunde zu finden, meine Interessen auszuleben und noch so viel mehr. Dafür bin ich sehr dankbar und möchte mich daher recht herzlich bedanken beim Deutschen Bundestag und vor allem bei meinem Paten Marian Wendt, der mir das Jahr zur Seite stand und mir diese unvergessliche und prägende Erfahrung ermöglichte.

 

Euer Jonas Scheibe