
Nach einer bewegenden dreistündigen Debatte beschloss der Deutsche Bundestag mit 360 von insgesamt 602 abgegebenen Stimmen, nicht nur die gewerbliche, sondern auch die geschäftsmäßige, also auf Wiederholung angelegte Beihilfe zur Selbsttötung zu untersagen. Dies werte ich als ein klares Zeichen der Humanität und der christlichen Nächstenliebe. Folgend mein Redebeitrag im heutigen Plenum.
Plenarrede zu TOP 26. am 6. November 2015 (zu Protokoll)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Mein Leben lang habe ich gespart, auf dass wir ein Häuschen haben, das möchte ich meinen Kindern vermachen, das soll nicht für meine Pflege draufgehen. Ich will niemandem zu Last fallen.“ Diese drastische Aussage eines Sterbewilligen verdeutlicht die ganze Dramatik des heute beratenden Sachverhalts. Der Bundestagspräsident hat Recht: Wir stehen vor dem vielleicht anspruchsvollsten Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode. Nicht so oft wird der Gesetzgeber gefragt, zu den „letzten Fragen des Lebens“ Stellung zu beziehen. Und trotzdem bringt uns der Fortschritt in Medizin, Technik und Pflege immer wieder in Entscheidungsnot, über schwere Gewissenskonflikte und komplexen medizinethischen Grundfragen urteilen zu müssen.
Gleichzeitig erfüllen wir heute einen Auftrag des Koalitionsvertrages und wollen das Geschäft mit dem Tod, wo das Leiden und die Nöte der Menschen ausgenutzt werden, endgültig unterbinden. Dafür brauchen wir eine gesetzliche Regelung und dürfen nicht, wie in letzter Zeit vermehrt suggeriert, untätig bleiben. Auf eine klärende Änderung der Rechtslage zu verzichten, wie einer der Anträge nahelegt, ist keine Alternative. Die geltende Gesetzeslage reicht offensichtlich nicht aus, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Halbherzige Regelungen, also Grauzonen und Rechtsunsicherheit können wir uns genauso wenig leisten. Es gilt, konsequent das menschliche Leben an seinem Ende zu schützen. Ein altes, todkrankes und gebrechliches Leben ist genauso wertvoll wie ein junges, gesundes, und kraftvolles – und das ist eine Kernfrage der Menschenwürde. Diese Würde kommt jedem Menschen voraussetzungslos zu und darf nicht durch eine Überbetonung des Selbstbestimmungsrechts und eines vermeintlichen Autonomieschutzes ausgehebelt werden. Deshalb ist bei aller Komplexität des Themas eine völlige Freigabe jeglicher Beihilfe zur Selbsttötung gefährlich, verfehlt und ein falsches Signal.
Einen in die Diskussion mitunter eingebrachten konstruierter „inhumaner Zwang zum Leiden“ gibt es nicht, deshalb akzeptiere ich den Vorwurf des Paternalismus nicht. Auch die Erwägung einer strafrechtlichen Lösung ist kein Ausdruck von Bevormundung, sondern entspricht dem Ernst und der Komplexität des Sachverhalts. Die Praxis, sowie zahlreiche Studien bestätigen: ein anfänglicher Sterbewunsch – sei es durch Tötung auf Verlangen oder Suizidbeihilfe – bleibt selten stetig. Im Laufe einer vernünftigen Therapie und Hospizbegleitung wird er in den allermeisten Fällen zurückgenommen und nicht wiederholt.
Es ist mehrmals in anderen europäischen Ländern empirisch belegt: Mit jedem Schritt in Richtung der Legalisierung der Suizidbeihilfe sinkt die Hemmschwelle und steigt die Zahl der Selbsttötungen. Aus mehreren Gründen ist eine wie auch immer geartete sogenannte ärztliche Suizidassistenz, für die sich wiederum einer der Anträge stark macht, ebenfalls inakzeptabel. Die Konstellation einer ärztlichen Beteiligung am Suizid führt zu einem fundamentalen besorgniserregenden Wandel der Rolle der Ärzte und des Arzt-Patient-Verhältnisses. Mein Bild vom Arzt ist eines des Begleiters, des Helfers und des Kämpfers für das Leben und nicht des Richters über den Tod oder gar des Henkers. „Nicht durch die Hand, sondern an der Hand soll der Mensch sterben.“ Sehr dankbar bin ich, dass der Bundespräsident sich diesen einfachen Satz vor wenigen Tagen öffentlich zu Eigen gemacht hat.
„Starke Schmerzen, Atemnot, Angst vor dem Ersticken – all das können wir heute mit Palliativversorgung und Hospizbegleitung gut in den Griff bekommen“ bestätigte Prof. Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Heute muss keiner in Deutschland wegen unerträglicher Schmerzen den Freitod anstreben. Auch die seelische Belastung, den Stress, die existenziellen Ängste, eine mögliche Belastung durch Krankheit, die sozialen Probleme – auch dies kann durch eine qualitätsvolle Palliativbegleitung und ein multiprofessionelles Hospizteam weitreichend gemildert und neutralisiert werden. Jeder der deutschlandweit mehreren Tausend Selbstmordversuche ist ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit, der uns allen als Gesellschaft, aber insbesondere Angehörigen, gilt. Die geforderte „Enttabuisierung“ der Sterbehilfe ginge mit einer Erwartungshaltung oder gar Druck auf kranke und gebrechliche Menschen, niemandem zu Last zu fallen. In einer für sich Humanität und Solidarität beanspruchenden Gesellschaft können menschliche Zuwendung und Fürsorge die einzige Antwort auf körperliches und menschliches Leiden, auf Hilflosigkeit und Einsamkeit sein.
Ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben darf keine Alternative zur Therapie und eine Freitodbegleitung darf nicht zu einem üblichen medizinischen Leistungsangebot werden. Eine Selbsttötung kann keine Reaktion auf schwierigen Lebenssituationen werden. Nicht für den Tod, sondern für das Leben werde ich heute votieren und das aus tiefster christlicher Überzeugung!
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