
Seit gut einem Jahr kämpfen wir als Gesellschaft gegen das neuartige Coronavirus an. Für uns alle in Nordsachsen waren die letzten Monate entbehrungsreich und wirklich hart. Viele Bürgerinnen und Bürger haben Angehörige oder Freunde an das Virus verloren. Auf unseren Intensivstationen liegen Menschen im Koma, um beatmet werden zu können. Die Entscheidungen, die wir treffen müssen, um die Gesundheit und das Leben insbesondere der Risikogruppen zu schützen, bedrohen die wirtschaftliche Existenz vieler anderer Bürgerinnen und Bürger. Es ist beispielhaft, wie viele Menschen sich trotzdem in Solidarität an den Lockdown halten, ausharren und auf wichtige Kontakte verzichten. Auch mir persönlich fehlen die Nähe zu meinen Eltern, aber auch das gemeinsame Bier nach Feierabend mit Freunden sehr. Es ist hart, aber wir halten gemeinsam durch.
Obwohl Deutschland besonders wegen des enormen Engagements unserer Bürgerinnen und Bürger bislang vergleichsweise erfolgreich durch die Pandemie gekommen ist, müssen wir uns auch ehrlich machen und feststellen, dass eine echte Perspektive zurzeit fehlt. Im Gegensatz zu der ständigen Unsicherheit vor jeder neuen Ministerpräsidentenkonferenz brauchen wir langfristige Klarheit darüber, was wir bei den geltenden Werten zu erwarten haben, was möglich sein wird und was nicht. Das gibt nicht nur Sicherheit, sondern motiviert uns auch dazu, die Regeln einzuhalten.
Ich plädiere für ein Ampelsystem, wie es Italien seit Oktober letzten Jahres anwendet. Dort ist jeder Bürgerin und jedem Bürger klar: es gibt rote, gelbe und orangene Zonen, die alle zwei Wochen von der Regierung anhand eines einheitlichen Berechnungsschlüssels neu festgelegt werden – abhängig von der jeweiligen Corona-Gefährdung vor Ort. Während Menschen in den gelben Zonen etwa Cafés und Restaurants besuchen können, unterliegen Menschen in den roten Zonen weiterhin strengen Kontaktbeschränkungen. Bei der Einteilung berücksichtigt die italienische Regierung nicht nur den Faktor Neuinfektionen. Stattdessen werden zurzeit insgesamt 21 Faktoren zur Festlegung der Zonen herangezogen. Natürlich spielt auch die Zahl der Neuinfektionen und der Ansteckungsraten eine Rolle. Hinzu kommt aber auch die Zahl der freien Intensivbetten, die Möglichkeit der Kontaktnachverfolgung oder die Belastung der benötigten Arbeitskräfte. Zudem könnten wir auch die Verbreitung der mutierten Coronaviren, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine gut 30% höhere Ansteckungsrate haben, in der Berechnung berücksichtigen. Das ist eine behutsame Strategie, die dafür sorgen kann, dass wir die Gesellschaft nicht wieder in anderthalb Monaten komplett herunterfahren müssen. Das kann unsere Chance sein.
In Deutschland müsste eine Farbeinteilung auf Ebene der Bundesländer stattfinden, die Landkreise sind hierfür zu kleinteilig. Die entsprechende Rechtsgrundlage müsste der Deutsche Bundestag schaffen. Er muss die Kriterien festlegen, die der Einteilung der entsprechenden Zonen zugrunde liegen. Das Robert-Koch-Institut wäre prädestiniert für die Erstellung eines solchen Index.
Klar ist, dass dieses System nur funktioniert, wenn wir alle uns an die dann geltenden Regeln halten. Auch wenn uns die Impfstoffe zurzeit Grund zur Hoffnung geben: Abstand halten und Kontakte reduzieren sind nach wie vor das Gebot der Stunde.
Empfehlen Sie uns!